Radikalisierung, Extremismus und Propaganda

Radikalisierungsprozesse verstehen, Radikalisierung erkennen

Unter Radikalisierung wird ein Prozess verstanden, bei dem eine Person immer extremere politische, soziale oder religiöse Bestrebungen annimmt, allenfalls bis hin zum Einsatz von extremer Gewalt. Damit übernehmen Individuen oder Gruppierungen zunehmend ein extremistisches Wertesystem. Der Weg kann dabei von einer neutralen Position zur Sympathie, der Rechtfertigung bis zur Befürwortung von extremistischen Ideen und Aktionen gehen. (Kantonspolizei Zürich – Präventionsabteilung)

Unterschiedliche Gründe können dazu führen, dass sich Menschen radikalisieren. Der Prozess der Radikalisierung ist weder geradlinig noch vorherbestimmt. Gewisse individuelle, kollektive, soziale und psychologische Faktoren können seine Auslösung begünstigen. Ein Ereignis allein kann den Radikalisierungsprozess nicht erklären. Er ist vielmehr das Resultat des Zusammentreffens eines individuellen Lebenswegs mit einem Wertesystem, das Gewalt rechtfertigt – was durch eine empfundene Bedrohung der Identität oder der Moral verstärkt und durch soziale Netzwerke – physische wie virtuelle – zusätzlich angefacht werden kann. Es ist oftmals schwierig, mit Sicherheit zu sagen, warum sich eine Person für radikale Bewegungen zu interessieren beginnt, denn es gibt kein typisches Profil radikalisierungsanfälliger Personen. (Sicherheitsverbund Schweiz)

Online-Radikalisierung kann eigentlich nicht von Offline-Geschehen entkoppelt und eine Trennung von digital versus ‚real-weltlich‘ ist wenig zielführend, weil Internetnutzung ein zunehmend selbstverständlicher Bestandteil des Alltags ist. Die Angebotsstrukturen des Internets und (alternativer) sozialer Medien ermöglichen theoretisch eine Selbstradikalisierung unabhängig von Offline-Kontakten, d.h. nur anhand von publiziertem Inhalt – ohne persönliche Interaktion. Praktisch ist dieser Prozess jedoch kaum verbreitet. (Sophia Rothut, Heidi Schulze, Julian Hohner, Simon Greipl & Diana Rieger)

Gewisse Bedingungen können die Anfälligkeit für Radikalisierung fördern. Es handelt sich um sogenannte Push-Faktoren. Mit Bezug zur Zielgruppe dieses Leitfadens ist vor allem die Kombination folgender Merkmale zu nennen:

  • Identitätskrisen
  • politische, sozio-ökonomische oder gesellschaftliche Ängste und Frustrationen
  • individuelle und kollektive Erfahrung von Diskriminierung, Anfeindung, Erniedrigung, beispielsweise aufgrund der Religionszugehörigkeit oder Herkunft
  • soziale Unzufriedenheit / Empörung auf ungerechte Behandlung anderer
  • fehlende soziale Integration
Extremismus im Kontext dieses Leitfadens

Dem Swiss Safe Games Guide liegt in Übereinstimmung mit der Haltung des Bundesrates eine absolute Definition von Extremismus zugrunde. 

“Unter Extremismus versteht der Bundesrat jene politischen Richtungen, welche die Werte der freiheitlichen Demokratie und des Rechtsstaats ablehnen. Als extremistisch werden im Allgemeinen Bewegungen und Parteien, Ideen sowie Einstellungs- und Verhaltensmuster bezeichnet, die den demokratischen Verfassungsstaat, die Gewaltenteilung, das Mehrparteiensystem und das Recht auf Opposition ablehnen.

An die Stelle politischer Gegnerschaft setzen Extremisten die Unterscheidung von Freund und Feind. In der Konsequenz lehnen sie andere Meinungen und Interessen strikt ab und glauben an bestimmte, angeblich unwiderlegbare politisch-gesellschaftliche Ziele oder Gesetzmässigkeiten.” (Der Bundesrat)

“Extremisten bezeichnen sich selbst nicht als solche. Sie nutzen für sich und ihre Tätigkeiten nicht selten die Errungenschaften der freiheitlich-demokratischen Ordnung aus, gegen die sie sich stellen: unter anderem die Meinungs-, Presse-, Religions- und Versammlungsfreiheit sowie den Rechtsschutz.

Entscheidend bleibt die Ablehnung der demokratischen Grundwerte und Ordnungsprinzipien und nicht die politische Randlage extremistischer Ideen.” (Der Bundesrat)

Extremismusfreie Games

Auch extremistische Gruppierungen nutzen Online-Content für ihre Zwecke, sie nutzen sogar Games für die Verbreitung ihrer Ideologien. Mittels Propaganda mit einschlägigen Informationsträgern (sei dies in digitaler Form, beispielsweise in Sozialen Medien oder in Papierform, oder im Direktkontakt kann für unterschiedliche Formen von Extremismus geworben werden. Klassische Formen des Extremismus sind, in alphabetischer Reihenfolge:

  • Dschihadismus,
  • Ethno-Nationalismus,
  • Linksextremismus,
  • Monothematischer Extremismus,
  • Rechtsextremismus.

Extremismus verstehen

Online ist eine Fülle gewaltextremistischen Propagandamaterials verfügbar. Anfällige Personen können mittels Suche darauf stossen oder aber von anderen aktiv darauf hingewiesen werden.

Extremisten bezeichnen sich selbst nicht als solche. Sie nutzen für sich und ihre Tätigkeiten nicht selten die Errungenschaften der freiheitlich-demokratischen Ordnung aus, gegen die sie sich stellen: unter anderem die Meinungs-, Presse-, Religions- und Versammlungsfreiheit sowie den Rechtsschutz.

Nicht alles was extrem ist, ist auch extremistisch: Entscheidend für den Extremismus ist die Ablehnung der demokratischen Grundwerte und Ordnungsprinzipien und nicht die politische Randlage. (Der Bundesrat)

Narrative

Ein Narrativ ist eine sinnstiftende Erzählung. Innerhalb einer Gruppierung von Personen stiftet es Sinn, indem es meist auf emotionale Weise wichtige Werte propagiert. Für die Vertretenden dieser Werte ist dies ansprechend.

Nicht jedes Narrativ ist extremistisch: Das Narrativ bezieht sich auf eine weltanschaulich geprägte Meinung oder Tatsache, welche dann häufig als gut zu memorisierende Formulierung und Parole verinnerlicht wird. In extremistischen Gruppierungen werden gewisse Narrative ständig wiederholt, anhand von Vorträgen und Schriften vertieft, grafisch ansprechend aufgemacht und somit verfestigt. Fast alle Personen, die sich radikalisieren, übernehmen zunehmend extremistische Narrative, welche politisch, sozial oder religiös geprägt sind.

Sollten Menschen aus Ihrem Umfeld zunehmend solche Denk- und Redeweisen, Codes, Abkürzungen oder Argumente verwenden, kann dies ein Zeichen einer fortschreitenden Radikalisierung sein.

Beispiele einzelner Narrative bestimmter Extremismusformen

Dschihadismus

Die Grundlage des Islamismus, dem islamischen Extremismus, ist ein fundamentalistisch ausgelegter Islam mit der Absicht, eine auf entsprechende Werte gründende islamische Gesellschaft zu etablieren. Wenn diese Absicht mittels Gewaltausübung verfolgt wird, wird von Dschihadismus gesprochen. Beispiele für Narrative sind:

„Werde Märtyrer, komm ins Paradies!“

„Die Gotteskämpfer lieben nicht das Leben, sie lieben den Tod!“

„Nur Götzenanbeter wollen Demokratie!“

Linksextremismus

Unter Linksextremismus fallen kommunistische und anarchistische Strömungen sowie als revolutionär bezeichnete Ideologien, welche Aufrufe zum Widerstand gegen staatliche Strukturen und Institutionen betreiben. Linksextremistische Personen fordern den Kampf für eine egalitäre Gesellschaft. Gewaltanwendungen richten kann sich gegen Sachwerte, gegen Sicherheitsbehörden sowie Vertreter der Wirtschaft oder Politik. Beispiele für Narrative sind:

„Den Faschismus überwinden , indem wir den unterdrückenden Staat bekämpfen!“

„Anarchie gegen den Kapitalismus!“

„Wir kämpfen gegen Nazis – Smash right!”

Rechtsextremismus

Rechtsextreme Gesinnung äussert sich in Fremdenfeindlichkeit, Rassismus oder übersteigertem Nationalismus, wobei der Glaube an die Ungleichheit die Gewalt legitimiert. Aufrufe oder Ausübung zur Gewalt gehen mit der Forderung nach verschärften Gesetzen und konsequentem Vorgehen an den Staat und die Ordnungskräfte einher. Die Forderung nach struktureller Gewalt durch Ausgrenzung kann in Vertreibung oder Vernichtung von Gruppierungen münden. Beispiele für Narrative sind:

„Holocaust ist eine Erfindung, er hat nie stattgefunden!“

„Unsere kulturelle Identität ist bedroht – Stoppt den grossen Austausch!“

„Je reiner die Rasse, desto klarer ist der Weg!“

Symbole und Szenen

In der Schweiz gibt es keine abschliessende Liste verbotener extremistischer Symbole. Auch etablierte und grundsätzlich unproblematische Symbole, Icons, Logos, Marken etc. können von extremistischen Gruppierungen verwendet werden und werden damit nicht verboten. Entscheidend ist, ob damit Strafnormen verletzt werden, beispielsweise die Rassismusstrafnorm etc. In extremistischen Kreisen werden auch Codes aus Zahlen oder Buchstaben-Kombinationen verwendet, um die extremistische Ideologie zu manifestieren.

Extremistische Szenen können sich online wie offline bewegen. Virtuelle oder sonstige Onlineangebote können Radikalisierungsdynamiken beschleunigen, indem sie die Effektivität und Effizienz potenziell radikalisierender Kommunikationsprozesse erhöhen. Extremistische Gruppierungen nutzen dabei das ganze Angebotspotenzial. Multimediale Inhalte, wie Videos, Podcasts oder Memes, werden mit teils hohem Aufwand zielgruppenorientiert produziert. (Sophia Rothut, Heidi Schulze, Julian Hohner, Simon Greipl & Diana Rieger)

In der Schweiz setzen sich die gewalttätigen extremistischen Szenen unterschiedlich zusammen. Die linksextreme Szene beispielsweise lässt sich in zwei Hauptströmungen unterteilen: Anarchismus und Marxismus-Leninismus. Die gewalttätige linksextreme Szene orientiert sich weiterhin an der internationalen und nationalen Tagesaktualität und ist international sehr gut vernetzt. Diese Vernetzungen werden auch teilweise bei gewaltsamen Aktionen sichtbar. 

Die gewalttätige rechtsextreme Szene verhält sich meist konspirativ und ist in der Schweiz mit Einsatz von Gewalt zurückhaltend. Damit besteht ein grosser Unterschied zu den Entwicklungen in anderen Staaten, namentlich Deutschland, obwohl vielfältige Beziehungen dorthin bestehen. (Bericht Sicherheit Schweiz)

Gut zu wissen

In der Schweiz reichen organisierte Bestrebungen einer Gruppe zur Abschaffung der Demokratie, der Menschenrechte oder des Rechtsstaates nicht aus, um Präventivmassnahmen des Nachrichtendienstes auszulösen. Eine Gruppe muss zur Erreichung dieser Ziele zusätzlich Gewalttaten verüben, fördern oder Befürworten. (Der Bundesrat)

Propaganda erkennen

Extremistische Propaganda zu erkennen ist nicht immer einfach, da oftmals vorderhand glaubhafte und sich auf das Recht der freien Meinungsäusserung berufende Argumente genannt werden. Oft wird nicht direkt und klar zu Gesetzesverstössen aufgerufen. Es existieren etliche Formen von Propaganda: Von Vorträgen an Veranstaltungen über Informationsträger, digital wie auch analog.

Der Verbreitung von digitalen Inhalten sind kaum Grenzen gesetzt: Propaganda kann sowohl direkt von Gerät zu Gerät wie auch über Gruppen oder Foren, soziale Netzwerke, Medienplattformen, verschlüsselte Kanäle etc. verbreitet werden. Manche Portale werden von extremistischen Gruppierungen geschaffen, um ihre Ideologien zu propagieren, andere nutzen etablierte Plattformen. Auch Medien und Angebote ohne extremistische Bezüge können für extremistische Propagandaarbeit missbraucht werden und teilweise einen grossen Empfängerkreis erreichen. Einzelne extremistische Gruppierungen nutzen die digitalen Möglichkeiten ausgiebig und professionell.

Extremistische Propaganda enthält oft folgende drei Elemente, welche erkannt, entsprechend eingeschätzt und wie folgt benannt werden können:

  • Propaganda hat meistens den Anspruch, einen „Missstand“ aufzuzeigen. Sie identifiziert die vermeintlich Verantwortlichen des Missstands und tut dies auch mit der Hilfe von Emotionen, wie dem Hinweis auf unschuldig Leidende. Sie spiegelt somit vor, wer gut oder schlecht, Täter oder Opfer ist. 
  • Propaganda zeigt eine mögliche Lösung für die identifizierten Probleme auf: Durch persönlichen Einsatz, resp. Kampf von Individuen unter Ausüben von Gewalt sollen die identifizierten Missstände beseitigt werden.
  • Propaganda fordert dann die Adressaten zu Handlungen auf, Untätigkeit wird mit dem Hinweis auf die vermeintlich richtige Sache diskreditiert und die Aussicht auf Gewinn gestellt. Gewonnen werden kann je nach Ideologie sowohl individuell, beispielsweise mit der individuellen Aussicht auf das Paradies im Jenseits, wie auch gesellschaftlich, beispielsweise mit paradiesischen Zuständen im Diesseits.

Die Polizei- und die Zollbehörden stellen Material sicher, das Propagandazwecken dienen kann und dessen Inhalt konkret und ernsthaft zur Gewalttätigkeit gegen Menschen oder Sachen aufruft. (Jürg Marcel Tiefenthal) Bei Verbreitung von solchem Material über das Internet kann fedpol nach Anhörung des NDB die Löschung der betreffenden Internetseite verfügen, wenn das Propagandamaterial auf einem schweizerischen Rechner liegt, oder einem Schweizer Provider empfehlen, die betreffende Internetseite zu sperren, wenn das Propagandamaterial nicht auf einem schweizerischen Rechner liegt (Art. 13e Abs. 5 Bst. a und b BWIS). (Der Bundesrat)

Feindbilder

Extremistische Propaganda schafft Feindbilder oder bedient Erzählungen, welche diese fördern. Mit dem Erschaffen oder Bedienen von Opfer-Erzählungen schafft sie einen Grund, die eigene extremistische Weltanschauung zu legitimieren. Durch das Schaffen von Feindbildern wird Gewalt legitimiert, um dann diese Gewalt auszuüben.

Entmenschlichung

Wie bei allen Stigmatisierungsprozessen versucht extremistische Propaganda, ganze Gruppen oder Ethnien in einem ersten Schritt zu entpersönlichen. Tendenziell in einem zweiten Schritt werden dann diese als feindlich eingestuften Gruppierungen herabgesetzt oder entmenschlicht. Das lässt sich beispielsweise bei der Bezeichnung der Migrationsbevölkerung als «Krebsgeschwür» beobachten. Sicherheitskräfte werden als „Prügler des Staates“ bezeichnet, gegen welche jedes Mittel Recht ist. Mitmenschen verkommen zu wertlosen Ungläubigen, die bekämpft werden müssen.